Diedrichshagen: Landschaftsschutzgebiet oder ein Acker am Stadtrand?


27. April 2017

Dass der gestrige Abend für Rostocks Finanzsenator, Dr. Chris Müller, die Leiterin des Stadtgrünamtes, Dr. Ute Fischer-Gäde, und Ralph Müller vom Stadtplanungsamt kein entspannter sein würde, war von vornherein klar. Etwa 220 interessierte und sehr kritische Bürger aus dem gesamten Stadtgebiet waren der Einladung zu einer Informationsveranstaltung rund um die geplante Bebauung des Landschaftsschutzgebietes, LSG, Diedrichshäger Land ins Warnemünder Kurhaus gefolgt. Ausgangspunkt war ein Prüfauftrag zur Änderung des Flächennutzungsplanes der Hansestadt Rostock hinsichtlich der Ausweisung eines Wohngebietes zwischen Golfplatz und einer Solaranlage am Stolteraer Weg in Diedrichshagen, erteilt durch die Rostocker Bürgerschaft an die Stadtverwaltung.

Senator Müller stellte zunächst kurz die Ausgangssituation dar und verwies auf die dynamische Stadtentwicklung, die einen neuen Flächennutzungsplan, FNP, erforderlich mache „Die Stadt wächst! Bis 2035 haben wir einen Bedarf von zusätzlichen 26.000 Wohneinheiten, von denen nur 6.500 aus vorhandenen Reserven abgedeckt werden können“, rechnete er vor. Damit ergebe sich ein zusätzlicher Bedarf von etwa 400 Hektar Bauland und diese Flächen gilt es jetzt auszumachen und zu sichern, damit potenzielle Neu-Rostocker nicht in die Umlandgemeinden abwandern.

Stadtplaner Ralph Müller unterstrich in seinem Vortrag, dass insbesondere der Bedarf für ostseenahes Wohnen groß sei und verwies auf ein entsprechendes, von der Hansestadt in Auftrag gegebenes und nicht unumstrittenes, Gutachten. Etwa 140 Wohneinheiten an der Ostsee sollten dem Schriftstück zufolge jährlich geschaffen werden. „Reserven im Innenbereich gibt es nicht“, so der Stadtplaner, der bei der Prüfung möglicher ostseenaher Wohnstandorte im Ausschlussverfahren die sogenannte „Fläche 2“ zwischen Golfplatz und Solarpark in Diedrichshagen als geeignet herausarbeitete. Gleichzeitig schränkte er jedoch ein, dass diese aus verkehrstechnischer Sicht nicht die erste Wahl seien. Der Schutzzweck des über 50 Jahre alten LSG wurde gleich von beiden Rednern in Frage gestellt und auf die „Erholfunktion für Rostocker Bürger“ dezimiert. Von einem „Acker am Stadtrand“, der alles andere sei, als ein „Kleinod der Natur“, sprach gar der Finanzsenator. Sowohl die beiden Herren Müller, als auch die Leiterin des Stadtgrünamtes, Ute Fischer-Gäde, waren sich letztlich einig, dass die Flächen für Wohnbebauung geeignet seien und dass eine Entwidmung des LSG möglich wäre – der Bedarf sei ja schließlich groß.

Die 35 Hektar Land befinden sich im Landschaftsschutzgebiet Diedrichshäger Land und sind Eigentum der Ostsee-Golf-Resort-Entwicklungs GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer und Immobilienmakler Jens Gienapp. Die Entwicklung des Gebietes will die Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Wohnungsunternehmen Wiro vornehmen. Damit sei nach Aussage von Senator Müller auch ein moderater Grundstückspreis  von „nicht deutlich mehr als 200 Euro pro Quadratmeter“ für das neue Wohnquartier gesichert. Im benachbarten Wohngebiet „Am Golfplatz“ hat das nicht geklappt. Auch hier war die Wiro beteiligt und es wurden Preise von 270 bis 295 Euro pro Quadratmeter aufgerufen.

Dass es bei der Kritik um weit mehr, als private Interessen Einzelner ging – Senator Müller wurde nicht müde, genau das immer wieder gebetsmühlenartig herunterzubeten – zeigte die anschließende, heftig geführte Diskussion. Es ging um Ängste der Rostocker, dass immer mehr Grünflächen zugebaut und versiegelt würden und dass der Naturschutz nur noch eine untergeordnete Rolle spiele. „Und was passiert, wenn auch die Fläche zwischen Golfplatz und Solarpark zugebaut ist?“ Diese Frage stellten sich zu recht viele Anwesende. Für Prof. Peter Winkler von Mohrenfels, wohnhaft in Diedrichshagen, erschließt sich das öffentliche Interesse für eine Entwidmung nicht: „Das Problem wäre nur kurzfristig gelöst und ein Landschaftsschutzgebiet kann nicht wegen einer temporären Befriedigung geopfert werden, es fehlt an Nachhaltigkeit.“ Der seit 1997 in Diedrichshagen wohnende Jens Heinrich weiß, dass sich die Quadratmeterpreise an der Küste mittlerweile verdreifacht haben. Er befürchtet, dass der Bedarf für ostseenahes Wohnen vor allem von Menschen mit den Autokennzeichen „M“, „B“ oder „HH“ geäußert würde. Der Diedrichshäger brachte außerdem seine Sorge um eine ÖPNV-Anbindung, den damit verbundenen Straßenausbau und daraus resultierende Enteignungen im vorderen Teil des Stolteraer Weges zum Ausdruck. Der ehemalige Rostocker Umweltsenator, Dr. Michael Kreuzberg, sieht eine deutliche Diskrepanz zwischen Prüfauftrag und Umweltrecht. Er erinnerte daran, dass Rostock vom Tourismus lebe und dass die Urlauber auch und vor allem wegen der Natur kommen würden.  Der Warnemünder Ortsbeiratsvorsitzende, Alexander Prechtel, warnte davor, „eine heilige Kuh zu schlachten und für 140 Einfamilienhäuser ein Landschaftsschutzgebiet zu opfern.“ Er vermutet, dass man in wenigen Jahren, wenn die Flächen verbraucht sind, dieselbe Diskussion um die nächsten Flächen führen würde.

Dass nicht jeder Bedarf für ostseenahes Wohnen gedeckt werden kann, musste am Ende auch Senator Chris Müller eingestehen. Eine Erklärung, weshalb er unbedingt die Flächen zwischen Golfplatz und Solarpark bewirbt, blieb er dem Publikum schuldig. Interessant: Nur etwa 1.500 Meter Luftlinie entfernt vom strittigen Gebiet besitzt die Hansestadt Rostock am westlichen Rand von Lichtenhagen seit den 90er Jahren eine etwa 40 Hektar großen Fläche, die sich nicht im LSG befindet. Diese wurde jedoch nach Aussage von Stadtplaner Müller als „nicht ostseenah“ kategorisiert.   

Am 10. Mai soll die Rostocker Bürgerschaft über das Thema befinden. Das Protokoll der gestrigen Veranstaltung soll in der nächsten Woche auf der Webseite der Stadt Rostock zu finden sein.


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